DIE SEMMERINGBAHN

Die erste Gebirgsbahn Europas

Bau

>>Seine Majestät der Kaiser Franz Josef I. geruhte am 12. April 1854 zum ersten Male die Bahn von Mürzzuschlag bis nach Gloggnitz zu befahren und die Kunstbauten im Detail zu besichtigen. Se. Majestät bezeugten Ihr Allerhöchstes Interesse und Ihre Allerhöchste Theilnahme, indem Sie sich gegen den Verfasser mit Befriedigung und Semmeringbahn Wohlwollen aussprachen. Seitdem geruhten Se. Majestät die Bahn öfter zu benützen, und am 16. und 17. Mai eine Fahrt von Payerbach nach Mürzzuschlag und von Mürzzuschlag zurück nach Gloggnitz in Begleitung allerhöchst Ihrer Majestät der Kaiserin Elisabeth vorzunehmen. Die Arbeiten und die Legung des zweiten Bahngleises sind im Monate Juni 1854 ganz vollendet worden. <<

Mit diesen Worten hat Carl Ritter von Ghega seine kurze historische Übersicht des Baues der Semmeringbahn abgeschlossen.

1839 begann eine private Gesellschaft den Bau einer Eisenbahn nach Gloggnitz, und am 5. Mai 1842 stand der erste Zug aus Wien kommend vor dem sich gewaltig auftürmenden Bergmassiv. 1842 wurde auch mit dem Bau der Talstrecke von Mürzzuschlag in Richtung Süden begonnen, ohne zu ahnen, wie es mit dem Bau über diesen Gebirgszug weitergehen sollte! Schon am 21. Oktober 1844 konnte das erste Teilstück der >>k. k. Südlichen Staatsbahn<< von Mürzzuschlag nach Graz eröffnet werden.

Von Gloggnitz bis zum Sattel des Semmeringpasses in 980 m Höhe beträgt der Höhenunterschied genau 543 m. Ghegas Plan, diese Differenz mit einer ganz normalen Eisenbahn zu überwinden, fand viele Gegner, die das Projekt schlicht als utopisch bezeichnen. Außerdem gäbe es keine Lokomotiven, die solche Steigungen bezwingen können, schon gar nicht mit angehängter Last. Es wurde sogar vorgeschlagen, auf altbewährte englische Seilzuganlagen mit stationären Dampfmaschinen zurückzugreifen. Sogar eine atmosphärische Bahn kam ins Gespräch, die durch Druckluft bewegt werden sollte.

Doch Ghega feilte unverdrossen an seinen Plänen. Er entwickelte Linienführungen, die durch Ausfahren der Seitentäler einen noch tragbaren Anstieg von 25 ‰ ermöglichten. Bei etwa 10 km Luftlinie verlängerte er die Nordrampe auf 28 km, wobei ein Siebtel dieser Strecke durch zahlreiche Tunnels führen sollte. Auch plante er steinerne Viadukte, wie man sie von den alten Römern her kannte, Steinmauern, Galerien, Stützmauern und weitere Kunstbauten. Sämtliche Bahnbetriebswerke, Bahnhöfe, Bekohlungsanlagen und vieles mehr, wurden fein säuberlich miteingeplant. Ghega war felsenfest davon überzeugt, daß sein Vorhaben gelingen würde. Nur der Kaiser hätte durch sein Veto die Ausführung des Vorhabens verhindern können.

Auch die Wirtschaftskrise und die damit verbundenen unzähligen Arbeitslosen ließen das Oberhaupt die Zustimmung zum Bau erteilen. Ein Heer von Arbeitern, Tausende von Bergleuten, Maurern, Zimmerleuten und Steinmetzen bevölkerten die bisher fast unberührte Wildnis. Zu Beginn mußten noch alle Beschäftigten täglich 100 km weit von Wien bis zum Semmering transportiert werden. Aber schon bald errichteten die Zimmermänner schlichte Holzhütten und konnten so vor Ort wohnen.

Der Bau des Tunnels geschah in heute unvorstellbarer Weise mit Hammer und Meißel, Hacke und Schaufel, Handbohrer und Schwarzpulver. Pferdekarren standen als Transportmittel zur Verfügung.

Zuerst wurde ein Richtstollen vorgetrieben, darüber der Firststollen und von dort aus wurde die Gesamthöhlung herausgearbeitet: Schon bald wurde diese Methode die österreichische Bauweise genannt. Für den Bau des 1430 m langen, geologisch besonders ungünstigen Haupttunnels und den 14 weiteren Tunnels sowie 16 Viadukten und einer Galerie wurden knapp 6 Jahre benötigt. Angesichts der oft halsbrecherischen Arbeiten klingt es kaum glaublich, daß dabei nur 15 Arbeiter ums Leben kamen, weitere 70 wurden Opfer einer Steinlawine und etwa 700 fielen der Cholera und dem Typhus zum Opfer.

An den Portalen jenes Tunnels prangte die stolze lateinische Inschrift, die leider bei der Restaurierung 1953 verschwunden ist:

FRANCISCUS JOSEPHUS I. AUSTR. IMP. HOMINUM RERUMQUE COMMERCIO ADRIATICUM GERMANICO JUNXIT MARE MDCCCLIV

>Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, ließ für den Verkehr von Menschen und Waren das Adriatische mit dem Deutschen Meere verbinden im Jahre 1854. <

Am 15. Mai 1854 wurde der durchgehende Güterverkehr Wien – Laibach aufgenommen und am 17. Juli befuhr der erste planmäßige Personenzug die neue Strecke.

Carl von Ghega wurde am 10. Januar 1802 in Venedig als Sohn eines österreichischen Marinebeamten geboren, studierte in Padua und machte seinen Doktor in Mathematik. Dann wandte er sich den Ingenieurswissenschaften zu. In Oberitalien und in den Alpen führte er verschiedene Straßen- und Wasserbauten aus, bevor er zum Bahnbau stieß.

Das Denkmal Carl Ritter von Ghegas (1802 – 1860) in der Station Semmering wurde am 22. Juli 1869 feierlich enthüllt. Die Gedenkrede hielt damals sein Weggefährte auf dem Gebiet des Lokomotivbaus, Freiherr von Engerth.

 

Technische Details:

16 Viadukte, der längste ist Schwarza mit 228 m, der höchste ist die Kalte Rinne mit 46 m

15 Tunnels, der längste ist Semmering mit 1430,34 m (alte Röhre) und Semmering 1511,50 m          (2. Röhre, erbaut 1952)
 

 

Und der Semmeringbasistunnel? 

Die Idee, den Semmering mit einem Basistunnel komplett zu durchfahren, ist wohl nicht neu. Schon seit langem wurden  Planungsarbeiten und Projektstudien durchgeführt. Und immer wieder neue Diskussionen flammen speziell dann auf, wenn die Arbeitslosigkeit und geringe Bautätigkeit zunimmt. Es wird wohl erhofft, daß mit dem Bau eines derartigen Projektes alle Probleme der Beschäftigung vorübergehend aus der Welt geschafft werden. Meist wird mit den am Bau Beschäftigten und anschließenden zusätzlichen Arbeitsplätzen an Bahnhöfen argumentiert. Ist es nicht so, daß die einzusetzenden Mittel mehr als ausreichen würden, die bestehende Bahn zu renovieren, auszubauen und in ihrer Einzigartigkeit zu erhalten? Auch die Renovierung und Erhaltung bringt Tätigkeiten für die ansässige Bevölkerung, viel mehr vielleicht als ausländische Maschinen, die in kurzer Zeit eine Röhre durch das imposante Bergmassiv bohren, um anschließend die Fahrzeit um letztlich doch nur wenige Minuten zu verkürzen. Fahrzeitersparnis, die man am Zielbahnhof durch lange Fahrt- und Wartezeiten ins Zentrum bzw.  zum Anschlußzug ohnehin wieder mehr als verliert! Aber es ist halt heute so schick, um soundsoviele Minuten „schneller“ zu sein. Und die angeblichen, zusätzlichen Arbeitsplätze an den neuen Bahnhöfen werden nach kurzer Zeit sicher durch Automaten (Fahrscheine, Snacks, Unterhaltung usw.) ersetzt werden. Den landschaftlichen Ausblick und das Erlebnis einer Semmeringfahrt kann man dann ja im High - Tech - Zug über Video und Bildschirm in der Kopfstütze des Vordersitzes „erleben“. Oder vielleicht findet sich jemand, der die Idee hat, die Tunnelwände mit passenden Landschaftsaufnahmen in Echtzeit zu simulieren, dazwischen gespickt mit unterstützender Werbung......

Ob sich Carl Ritter von Ghega schon im Grabe umgedreht hat, werden wir wohl kaum erfahren.
 

Edmund Stodolak

Klagenfurt im April 2001

 

Literaturhinweise:

Die Semmeringbahn, Harald Navé, Alfred Luft, © 1985 by Orell Füssli Verlag, Zürich und Schwäbisch Hall
150 Jahre Eisenbahn in Österreich, © 1986 Südwest Verlag GmbH & Co. KG, München